Die Totenklage:
Sie hatten nach ihm gesucht, aber niemand konnte ihn finden. Die Leute hatten schon vermutet, dass er tot sei.
Jeder sprach über ihn. „He is nich doot! Hest höört? He läävt noch!“
„Wer?“
„Klein Budie. Kennst Du ihn nicht? „
„Klein Budie, der auf dem Kirchplatz lebt, auf der Seite zum Weinhausgang, weißt Du, nah beim Rathaus.“
Budie lebte also noch. Aber wo hatte er sich versteckt?
Beim letzten Mal hatten die Kinder mit ihm gespielt. Budie war in eine Kartoffelkiste gekrochen. Die anderen Kinder hatten einen Deckel auf die Kiste gelegt und dann hatten sie diese mit dreizehn Nägeln verschlossen, mit einem großen Hammer, die Leute sprachen von zweieinhalb Zoll langen Nägeln.
Was auch immer passiert war. Nun war er zurück. Und die Kinder luden ihn ein, mit ihnen in der Weinhausstraße zu spielen.
„Was sollen wir spielen?“ Fragte er die anderen Kinder.
„Beerdigung?“ Fragte einer von ihnen.
„Oh ja!“ Schrie Fritzi. „Budie, Du bist die Leiche!“
Schnell fand sich ein Bügelbrett. Wir legten Budie darauf. Wir bedeckten ihn mit Handtüchern. Jetzt war Klein Budie eine Leiche. Einer von uns hatte eine kleine Schubkarre.
Dann begann die Prozession.
Der älteste und größte unter uns war Walter. Er schritt hinter der Karre her, langsam, Schritt für Schritt. Er selbst nannte sich Rabbi.
„Ich kann ja kein Pfarrer sein, aber ein Rabbi ist dasselbe.“
Uns Kindern war es egal. Wir folgten ihm.
Dann trug uns der Rabbi auf, laut und bitterlich zu klagen. Und so taten wir es.
Fritzi konnte es am besten. Er war der Cousin des Rabbi.
Die Pferde zogen die Karre mit der Leiche Budie oben drauf durch die Weinhausstraße und über die Burgstraße in den Weinhausgang.
Dort war es so eng, dass unsere Totenklage seltsam in unseren Ohren klang.
Wir schritten Fuß über Fuß durch die lange Gasse hinauf zum Kirchplatz,
andächtig und mit lautem Klagen.
Text: Oswald Andrae, Musik: Iko Andrae, Andreas Bahlmann, Eckhard Harjes